Ende des Abenteuers: Frankreichs Stratege Antoine Dupont wird von Südafrikas Defensive niedergerungen. Am Ende waren alle Franzosen am Boden, der Gastgeber schied im Viertelfinale gegen den Titelverteidiger 28:29 aus.
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Frankreichs hochveranlagtes Rugby-Team um Antoine Dupont verpasst knapp das Halbfinale der WM in eigenen Land. Dabei kehrte der Stratege der Bleus nur wenige Wochen nach einem Jochbein- und Kieferbruch ins Team zurück.
Die Leere nach dem Rasenkampf
Langsam schob Antoine Dupont den Kopfschutz in den Nacken und legte die Handflächen auf den Kopf. Sein Blick, von den Fernsehkameras eingefangen, drückte weniger Trauer als Unglauben und Fassungslosigkeit aus. Die Weltmeisterschaft wird noch zwei Wochenenden, bis 28. Oktober, weitergehen im Stade de France in Saint-Denis. Aber sie wird nicht mehr dieselbe sein ohne das französische Team, das die besten Rugbynationen eingeladen hat zu diesem siebenwöchigen globalen Fest der Ballsport-Schwerathleten. Und ohne Antoine Dupont, 26, den Landwirtssohn aus Castelnau-Magnoac im Süden nahe Toulouse, Kopf und Stratege der Bleus und für viele der talentierteste Rugbyspieler der Gegenwart.
An Dupont hat es nicht gelegen, dass Frankreich am Sonntagabend vor 79 500 Zuschauern in einem phänomenalen Spiel mit Haken und Finten, irrwitzigem Tempo und brutaler Wucht knapp gegen Titelverteidiger Südafrika verlor, 28:29. Er hatte alles gegeben, viel mehr als eine Mannschaft, ein Land, eine Grande Nation mit gutem Gewissen verlangen kann. Dupont hatte sich das Gesicht zerschlagen lassen für die Mission des dreimaligen WM-Finalisten, den Titel und goldenen Webb-Ellis-Cup endlich einmal nach Frankreich zu holen. Erst in der Woche vor diesem Viertelfinale kehrte er nach einem Kiefer- und Jochbeinbruch ins Mannschaftstraining der Bleus zurück.
Die Ärzte segnen Duponts Rückkehr nach mehreren Brüchen im Gesicht ab – angeblich
Der Zwischenfall hatte sich am dritten Spieltag der WM ereignet, am 21. September, in einer Partie gegen Namibia, die Frankreich recht mühelos 96:0 gewann. In der 46. Minute wurde Dupont umgenietet, ein heranstürmender Gegner, Johan Deysel, rammte dem Weltrugbyspieler des Jahres 2021 ungebremst den Schädel ins Gesicht. Rugby ist ein Sport der rohen Kräfte und des vollen Körpereinsatzes, „Kollisions-Schlacht“ hatte einst Richie McCaw, der zweimalige Weltmeister aus Neuseeland und ehemalige Kapitän der All Blacks, den Rasenkampf genannt. Gerade deshalb sind gefährliche Tackles verboten, ist Disziplin oberstes Gebot, Kopfstöße werden mit sofortigem Platzverweis bestraft. Ein Verbandsgericht hat Deysel nach der Rotsperre für fünf Spiele suspendiert. Dupont wurde in Toulouse operiert. Seine Rückkehr nur dreieinhalb Wochen später ins Getümmel hatten die Chirurgen ihm laut Medienberichten angeblich erlaubt.
Im Sport der harten Männer ist er nicht der erste, der bereit ist, für den kollektiven Ruhm die persönliche Gesundheit aufs Spiel zu setzen. Der Neuseeländer McCaw, charismatischer Vorkämpfer der All Blacks, hatte 2011 bei der WM im eigenen Land mit gebrochenem Fuß gespielt, nicht eine, sondern mehrere Partien. Er konnte nicht laufen, trainierte in drei Wochen keine Minute, sah es aber als seine Pflicht an, jeweils bei Anpfiff auf dem Platz Regie zu führen. Der Legende nach weigerte sich McCaw, den Fuß röntgen zu lassen – um den Ärzten keinen Vorwand zu geben, ihn aus dem Kader zu streichen. „Adrenalin ist ein prima Schmerzmittel“, sagte er lapidar, erst Monate später gab er zu, dass er bei jedem Schritt dachte, er trete auf glühende Kohlen; wie der Fuß sonst noch betäubt wurde, wurde nicht öffentlich erörtert.
Für das Team der Trikolore ist Antoine Dupont ebenso unersetzlich wie es McCaw zwölf Jahre zuvor für die All Blacks war. Keiner spielt mehr Pässe, keiner verfügt über mehr Übersicht im Gewühl als Frankreichs Nummer „9“. Er schützte seinen Kopf mit einer Kappe, stürzte sich womöglich einen Tick weniger offensiv als sonst in den Nahkampf, aber er war über die volle Spielzeit von 80 Minuten Herr des Geschehens in einem Duell gegen Südafrika, das dem Zuschauer zwei Halbzeiten mit unterschiedlichem Spektakel bot: Rasanz samt sechs Trys der Ballsprinter vor der Pause; danach Schieben und Taktieren der Schwerathleten. Womöglich haben die Springboks aus Südafrika den entscheidenden Punkt gerettet, als der schnelle Cheslin Kolbe – in einem selten frechen Manöver – einen Kick des Französen Thomas Ramos abfing.
Das Abenteuer der famosen Franzosen hatte im September mit einem vielversprechenden Sieg über die dreimaligen Weltmeister aus Neuseeland begonnen. Nun endet es vor der Zeit, und Duponts Kollege François Cros sprach für das gesamte Team, als er die Niederlage beklagte: „Es war der Wettbewerb meines Lebens. Eine Weltmeisterschaft in Frankreich, das werden wir nie wieder erleben.“
Frankreichs Topspieler übt leise Kritik an der Schiedsrichterleistung
Dupont selbst indes schrieb den Ausgang auch der Spielleitung zu. Er wolle nicht bitter klingen, sagte er, er wolle keine Schiedsrichterschelte betreiben: „Aber ich glaube nicht“, sagte er, „dass die Leistung der Referees dem höchsten Niveau gerecht geworden ist.“ Es habe aus seiner Sicht klare Situationen gegeben, die der neuseeländische Unparteeische Ben O’Keeffe hätte ahnden müssen. Zur Debatte stand etwa eine Szene zu Beginn des Spiels, als Frankreich seine Führung hätte ausbauen können, statt unmittelbar darauf den Ausgleich zu kassieren.
So steht fest, dass die Halbfinals der WM ohne die beiden statistisch besten europäischen Mannschaften, Frankreich und Irland, ausgefochten werden. Die nördliche Hemisphäre ist nur noch durch England vertreten, das nun am Samstag den Titelverteidiger Südafrika stoppen will. Neuseeland und Argentinien spielen schon am Freitagabend den zweiten Finalisten aus. Für Antoine Dupont besteht nach den Gesichtsfrakturen womöglich nur ein schwacher Trost darin, dass er sich nun heilende Ruhe – ohne Kollisionen – gönnen kann.
SZ von Von Barbara Klimke